Grundeinkommen – 2. Die 80/20-Gesellschaft und ‚Tittytainment‘

Die wichtigsten Auszüge aus dem kostenfreien eBook „Die Globalisierungsfalle“:

„In diesem geschichtsträchtigen Rahmen (dem Fairmont-Hotel in San Francisco) begrüßt einer der wenigen, der selbst Geschichte schrieb, Ende September 1995 die Elite der Welt:  Michail Gorbatschow.

Jetzt hat Gorbatschow 500 führende Politiker, Wirtschaftsführer und Wissenschaftler aus allen Kontinenten einfliegen lassen. Der neue »globale Braintrust«, wie der letzte Staatspräsident der Sowjetunion und Nobelpreisträger die exklusive Runde definiert, soll den Weg ins 21. Jahrhundert weisen, »unterwegs zu einer neuen Zivilisation«. (1)

Erfahrene alte Weltenlenker wie George Bush, George Shultz oder Margaret Thatcher treffen auf die neuen Herren des Planeten wie CNN-Chef Ted Turner, der seine Unternehmen mit Time Warner zum weltweit größten Medienkonzern verschmilzt, oder auf den südostasiatischen Handelsmagnaten Washington SyCip. Drei Tage lang wollen sie hochkonzentriert nachdenken, in kleinen Arbeitskreisen mit den Global Player der Computer- und Finanzwelt, aber auch mit den Hohenpriestern der Wirtschaft, den Ökonomieprofessoren der Universitäten von Stanford, Harvard und Oxford. Auch Emissäre des Freihandels aus Singapur und natürlich Peking wollen gehört werden, wenn es um die Zukunft der Menschheit geht. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bemüht sich um deutsche Akzente in der Debatte.

Keiner der hochbezahlten Karrieremanager aus den Zukunftsbranchen und Zukunftsländern glaubt noch an ausreichend neue, ordentlich bezahlte Jobs auf technologisch aufwendigen Wachstumsmärkten in den bisherigen Wohlstandsländern – egal, in welchem Bereich.

Die Zukunft verkürzen die Pragmatiker im Fairmont auf ein Zahlenpaar und einen Begriff: »20 zu 80« und »tittytainment«.

20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung würden im kommenden Jahrhundert ausreichen, um die Weltwirtschaft in Schwung zu halten. »Mehr Arbeitskraft wird nicht gebraucht«, meint Magnat Washington SyCip. Ein Fünftel aller Arbeitssuchenden werde genügen, um alle Waren zu produzieren und die hochwertigen Dienstleistungen zu erbringen, die sich die Weltgesellschaft leisten könne.

Doch sonst? 80 Prozent der Arbeitswilligen ohne Job? »Sicher«, sagt der US-Autor Jeremy Rifkin, Verfasser des Buches »Das Ende der Arbeit«, »die unteren 80 Prozent werden gewaltige Probleme bekommen.

Im Fairmont wird eine neue Gesellschaftsordnung skizziert: reiche Länder ohne nennenswerten Mittelstand – und niemand widerspricht.

Vielmehr macht der Ausdruck »tittytainment« Karriere, den der alte Haudege Zbigniew Brzezinski ins Spiel bringt. Der gebürtige Pole war vier Jahre lang Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, seither beschäftigt er sich mit geostrategischen Fragen. »Tittytainment«, so Brzezinski, sei eine Kombination von »entertainment« und »tits«, dem amerikanischen Slangwort für Busen. denkt dabei weniger an Sex als an die Milch, die aus der Brust einer stillenden Mutter strömt. Mit einer Mischung aus betäubender Unterhaltung und ausreichender Ernährung könne die frustrierte Bevölkerung der Welt schon bei Laune gehalten werden.

Nüchtern diskutieren die Manager die möglichen Dosierungen, überlegen, wie denn das wohlhabende Fünftel den überflüssigen Rest beschäftigen könne. Soziales Engagement der Unternehmen sei beim globalen Wettbewerbsdruck unzumutbar, um die Arbeitslosen müßten sich andere kümmern. Sinnstiftung und Integration erwarten sich die Diskutanten vom weiten Feld der freiwilligen Gemeinschaftsdienste, bei der Nachbarschaftshilfe, im Sportbetrieb oder in Vereinen aller Art. »Diese Tätigkeiten könnte man doch durch eine bescheidene Bezahlung aufwerten und so die Selbstachtung von Millionen Bürgern fördern«, meint Professor Roy.

Das Weltmodell der Zukunft folgt der Formel 20 zu 80. Die Einfünftelgesellschaft zieht herauf, in der die Ausgeschlossenen mit Tittytainment ruhiggestellt werden müssen. Alles maßlos übertrieben?

Anmerkungen

(1) Bei seiner Tischansprache am 27. September 1995 in San Francisco.

(2) Drei Journalisten durften an allen Arbeitskreisen des Treffens in San Francisco vom 27. September bis zum 1. Oktober 1995 teilnehmen, darunter Hans-Peter Martin.“

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Nun kann man darüber streiten, ob es zu einer 20/80 Gesellschaft in den westlichen Ländern kommt, oder möglicherweise auch „nur“ zu einer 25/75. Als sicher dürfte aber anzunehmen sein, dass die Anzahl von Menschen, die genügen, um alles zu produzieren, was wir (glauben) zu benötigen, in einem Ausmaß abnimmt oder bereits abgenommen hat, dass nur noch „Wahlkämpfer“ eine Vollbeschäftigung in den nächsten Jahren prophezeien.

Was in dem Bericht über die San Francisco-Tagung „unanständig“ aufscheint, ist die Aussage von Brzezinski, dass die Menschen, die nicht mehr zur Produktion benötigt werden, durch „Titttytainment“ beruhigt werden müssten.

Hier sollte doch wohl stattdessen ein neuer Denkansatz zum Tragen kommen, der möglicherweise zum ‚Bedingungslosen Grundeinkommen‘ (BGE) führt.

Lesen Sie den 3. Teil zum Thema „Vollbeschäftigung, Arbeitslosenzahlen – und politischer Wahlkampf“ am Montag, dem 12. Oktober

2 Gedanken zu „Grundeinkommen – 2. Die 80/20-Gesellschaft und ‚Tittytainment‘“

  1. Habe das Thema in der letzten Woche auf einem Seminar das erste Mal in dieser radikalen Deutlichkeit gehört. Bin bis ins Mark erschüttert. Wenn ich mir vorstelle, was in der Geschichte der Menschheit von fleißig und zuverlässig arbeitenden Bürgern – die den Staat ausmachen – durch ihren ideologischen Einsatz bis hin zum Verlust des Lebens erreicht wurde, nämlich, dass Arbeit gerecht entlohnt wird und diejenigen, die arbeiten wollen und arbeiten genug Geld für ein niveauvolles Leben haben. Und jetzt meinen so ein paar arrogante Ignoranten, denen ihre Macht und/oder Geld zu Kopf gestiegen ist, sie können ihre Kohle ohne uns verdienen!!! Wie bitte soll das funktionieren? Die 20% werden keine Arbeit erledigen – denn das haben sie nie gemacht – die 80% sollen keine Arbeit erledigen, da wie gesagt die Kohle nur für die 20% gedacht ist….. Im Übrigen würde es nur kurze Zeit dauern, bis sich die 20% gegenseitig aus Macht- und Geldgier gegenseitig fertig gemacht haben und dann die 80% Realisten wieder den Ton angeben.
    Allein, dass es Menschen gibt, die denken, sie brauchen 80% ihrer Artgenossen nicht mehr (kommt einem das evtl. bekannt vor?) zeigt schon wie wenig Moral noch auf unserem blauen Planeten vorhanden ist.
    Was ist das für eine scheiß Spaßgesellschaft in der wir leben? Keine Werte mehr, keine Moral, kein Anstand, keine Solidarität! Und wenn die Akademiker und ihre Anhängsel doch etwas davon aufblitzen lassen, dann nur um einen guten Eindruck zu machen.
    Beispiel: Der Wirtschaftswissenschaftsstudent betätigt sich in einem sozialen Bereich – weil das im Lebenslauf gut aussieht! Falsch! Das sieht nicht gut aus, weil jeder Akademiker, der den LL liest genauso tickt und weiß, dass das nur Fassade ist. Ergo: die Studenten sollten in ihrer Freizeit nur Beschäftigungen erhalten, die sie wieder erden (putzen, graben, Steine klopfen) – wer das nicht macht kann alles andere auch lassen, soziales Engagement nimmt ihm sowieso keiner ab.

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